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beschrieben. Delannoy lobt dabei die außerordentlich gelungene kompositorische Gestaltung des Gemäldes und teilt mit, daß die Darstellungen der Personen sehr treffend und gekonnt seien.

Marlet verhandelte zunächst mit mehreren Interessenten über einen Kauf des Gemäldes. Schließlich gelang es der Frau von Saint-Amant, einer resoluten Dame, die schon mal an regnerischen Club-Abenden mit dem Regenschirm an das Fenster des Pariser Cercle des Echecs klopfte, um ihren in’s Schachspiel versunkenen Ehegatten nach Hause zu zitieren, das Bild für 500 Francs zu kaufen, worüber am 19. Februar 1844 auch ein förmlicher Kaufvertrag abgeschlossen wurde. Es war die höchste Summe, die Marlet angeboten worden war. Marlet hatte das Bild etwa Mitte März fertiggestellt und schrieb mit Datum vom 22. März 1844 an Saint-Amant, um die ihm zustehenden 500 Francs zu reklamieren. Offensichtlich hatte Marlet jedoch vergessen, daß er noch eine über die Jahre hin aufgelaufene Weinrechnung an Saint-Amant in Höhe von 800 Francs zu begleichen hatte, weshalb dieser nun diese „Wein"-Schulden mit dem Preis des Gemäldes verrechnete.

Bereits vor Fertigstellung des in Öl gehaltenen Gemäldes war von vielen Pariser Schachspielern der Wunsch geäußert worden, eine Lithografie von dem Gemälde anzufertigen, damit jeder Interessierte eine Abbildung des großen Ereignisses erstehen könne. Saint-Amant erteilte deshalb in der Folgezeit dem Künstler und Kupferstecher Alexander Laemlein (1813-1871) den Auftrag, eine Kopie des Bildes in Stein zu gravieren. Laemlein war der Neffe des berühmten Alexandre, des Verfassers der Encyclopédie des Échecs, Paris 1837, und war im Alter von zehn Jahren aus Hohenfeld am Main per Fußmarsch (!) nach Paris zu seinem Onkel Alexandre gewandert. Dort war er bei dem bekannten Kupferstecher Regnault in die Lehre gegangen. Laemlein bestellte die abgebildeten Personen zwecks genauerer Darstellung der Physiognomie noch einmal zu Einzelsitzungen in sein Atelier, übernahm aber im wesentlichen die topografische und gestalterische Konzeption des Gemäldes von Marlet. Der Vergleich des Gemäldes von Marlet mittels der von Delannoy gegebenen, freilich groben Beschreibung mit der Gravur von Laemlein zeigt, daß auf Marlets Gemälde zumindest drei Personen abgebildet waren, die Laemlein in seinem Stich wegläßt. Dies sind Pluchonneau, Vielle, der schachbegeisterte Besitzer des Café de la Régence, und Alphonse Delannoy. Darüber hinaus hat Laemlein sich selbst zusätzlich in die linke Hälfte des Bildes plaziert, so daß diese sicherlich erheblich von der entsprechenden Hälfte des Marlet’schen Gemäldes abweichen dürfte. Die Identität zumindest einer Person auf der Laemlein-Abbildung, die in einem erläuternden Facsimilé lediglich mit K*** bezeichnet wird, bleibt auch heute noch geheimnisvoll im Dunkeln. Handelt es sich um den Dichter Alfred de Musset, wie Gaston Legrain glaubte oder um Kieseritzky oder gar um einen Unbekannten, dessen Identität zu lüften im Kontrakt des Zeichners nicht vorgesehen war? Vieles spricht dafür, daß Saint-Amant im Kontrakt mit dem Zeichner hatte festhalten lassen, die Person von Kieseritzky nicht zu benennen, denn Saint-Amant und Kieseritzky, der Ende der dreißiger Jahre aus Livland nach Paris gekommen war, hatten sich gestritten und verstanden sich nicht gut.

Das Bild zeigt die beiden Kämpfer am 16. Dezember 1843 während der 19. Partie.

In der französischen Zeitschrift L’Illustration und auch in ihrem deutschen Pendant der Illustrierten Zeitung erschien zu Beginn des Jahres 1846 ein Holzstich, in dem noch einmal eine Änderung des abgebildeten Geschehens vorgenommen ist. Die Anzahl der abgebildeten Personen hat deutlich abgenommen. Die Beleuchtung ist verändert und verbessert worden, indem die Gasbeleuchtung gegenüber der Lithografie weiter heruntergelassen worden ist. Laemlein hatte in seiner Intention, die Personen porträtmäßig zu erfassen, die Beleuchtung noch neutralisiert. Die Komposition der Marlet/Laemlein-Lithografie bleibt im Holzstich insgesamt zwar erhalten und zeigt im Zentrum des Bildes die beiden Schachspieler Saint-Amant und Staunton beim Spiel, wobei im Laemlein-Bild die Hand von Saint-Amant sich gerade über dem Brett befindet und zögernd in der Bewegung innezuhalten scheint, so als ob sie vor dem Schlagen des Bauern f7 signalisieren wolle: „Timeo Danaos et dona ferentes".

Klicken Sie auf das Bild, um die Partie nachspielen zu können.

Der Macher des Holzstiches aber verändert ganz entscheidend die Haltung und das Comportement des im Bild links sitzenden Howard Staunton. Während Laemlein den englischen Vorkämpfer noch in gerader Haltung und zum Kampf bereit darstellt, ist der gleiche Staunton im Holzstich ein gebeugt auf seinen Arm sich stützender, resigniert den Zug des Gegners erwartender, gebrochen erscheinender Mann. Damit erlangt gleichzeitig die Haltung des Saint-Amant, wenngleich in den beiden Bildern nur nuanciert verschieden dargestellt, eine gänzlich andere Bedeutung! Die bei Laemlein über dem Brett schwebende, noch in der Bewegung zögerlich innehaltende Hand, wird im Holzstich zu der den letzten und entscheidenden Todesstoß versetzenden Faust des Saint-Amant. Uns scheint, daß der Illustrator der französischen Zeitung L’Illustration das wirkliche Ergebnis des Kampfes, das ja den Engländer Staunton als Sieger sah, ignorieren und für sein überwiegend französisches Publikum diese etwas schonendere, wenngleich die Wahrheit modifizierende Darstellung wählen wollte. Sozusagen ein erster Fall tendenziös verfälschter Berichterstattung im Schach. Tatsächlich lesen wir im von Delannoy verfassten Text zum Stich, Frankreich habe den Kampf gewonnen. „Man erinnert sich an den Kampf ... zwischen Frankreich und England. ... Es ist Frankreich, das zum Kampf herausforderte und es ist Frankreich, das triumphierte". Delannoy schreibt pathetisch weiter: „Sie erkennen zunächst den berühmten Saint-Amant in seiner noblen und fast heroischen Haltung; ... er

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