Home Nach oben

 

Zurück
Home
Nach oben
Weiter

76. Simultan

Henri Serruys, Belgien, liefert die folgende Simultanpartie Alexander Aljechins gegen Ministerialrat Professor Kraft.

 









Aljechin, Alexander - Kraft [B01]
Karlsruhe, 29.05.1936

1.e4 d5 2.exd5 Dxd5 3.Sc3 Da5 4.Sf3 Sf6 5.Lc4 Lg4 6.d4 e6 7.h3 Lh5 8.g4 Lg6 9.Se5 Sbd7 10.Lf4 0-0-0 11.Df3? Ein schrecklicher Patzer
11...Sxe5 12.Lxe5 Le4 13.Dg3 Lxh1 14.f3 Lb4 15.0-0-0 Lxc3 16.bxc3 Dxc3 17.Ld3 Sd5 18.Df2 f6 19.Lh2 Sb4 20.De3 Txd4 21.Txh1 Sxd3+ 22.Kd1 Se5+ 23.Ke2 Dxc2+ 0-1
Es folgt ein Matt in spätestens fünf Zügen
(24.Kf1 Td1+ 25.De1 Dd3+ 26.Kg1 De2 27.Dxd1 Sxf3#)

 

77. Lionel Kieseritzky

Zu SZ 5, Lionel Kieseritzky (1806-1853), weist uns Ulrich Grammel, Heilbronn, auf die folgende Stelle in Ernste Spiele. Vortraege, theils neu theils längst vergessen (dritte Auflage bei Wilhelm Hertz, Berlin 1875) von Johann Eduard Erdmann hin. Johann Eduard Erdmann, geb. 13.6.1805 in Wolmar (heute Valmiera, Lettland), war Philosoph und als solcher später Professor an der Universität in Halle. In dem erwähnten Buch schreibt er: „Durch alle Schul-Classen war mein Nachbar auf der Bank ein auch sonst seltsamer Knabe, der uns (damals passionirte Schachspieler) oft zum Erstaunen hinriss, wenn er, ohne ein Brett vor den Augen zu haben, zwei verschiedene Schachpartien in den Nebenzimmern dirigirte und fast immer gewann. Viele Jahre darauf fand ich im Café de la Régence in Paris ihn als anerkanntes Haupt - Labourdonnais war gestorben und St. Amant hatte vor ihm die Segel gestrichen - der französischen Schachspieler. Er lebte vom Unterricht in der Mathematik und dem, wie er sagte, viel schwierigeren im Schach, und sprach wiederholt als die Bestimmung seines Lebens dies aus, der Welt begreiflich zu machen, dass Schach kein Spiel sei, sondern eine Wissenschaft. ‘Auch von der Statistik’, setzte er hinzu, ‘glaubte man anfänglich, sie sei eine Spielerei’".

Weitere Angaben über Kieseritzky (1806-1853), u.a. von dessen Bruder Guido, fanden wir in der DSZ 1853, S. 316 ff. und 1855, S. 297 ff.: „Lionel Adalbert Bagration Felix Kieseritzky (von Rechtswegen eigentlich des heil. röm. Reichs Freiherr von Koseritz und polnischer Graf Kizericki) ward geboren in Dorpat am 20. December 1805 (1. Januar 1806), und war das jüngste - 14te - Kind von Otto Wilhelm Kieseritzky und seiner Ehegattin Catharina Felicitas geb. von Hoffmann."

1996 erschien ein hervorragend recherchiertes Buch von Tomasz Lissowski und Bartlomiej Macieja, Zagadka Kieseritzky'ego, Wydawnictwo DiG, Warschau 1996, das für den des Polnischen kundigen weitere Einzelheiten bringt.

Ein Nachkomme Kieseritzkys ist kürzlich mit einem Buch in Erscheinung getreten: Ingomar von Kieseritzky, Da kann man nichts machen. Roman. C. H. Beck, München 2001. Wir haben das Buch noch nicht gelesen und können deshalb nicht sagen, ob ein Schachbezug hergestellt wird. 

78. Schach in der Trivialliteratur

Zu SZ 12, Schach in der Trivialliteratur, macht uns Dr. H.-J. Wagner, Paderborn, auf ein Heft der phantastischen Heftromanserie Sun Koh, der Erbe von Atlantis aufmerksam. In der von Paul Alfred Müller (unter dem Pseudonym Lok Myler) verfaßten, in den Jahren 1933-1936 im Verlag A. Bergmann, Leipzig, erschienen Serie gibt es einen Band (Band 112, Volk unter Tag), in dem das Schachspiel eine wesentliche Rolle spielt. Eine Expedition dringt ins unerforschte Innere der Insel Neuguinea ein, um einige dorthin Verschleppte zu suchen. Man findet diese in der Gewalt eines bis dahin unbekannten, in unterirdischen Felsenwohnungen lebenden Volkes. Dieses „Volk unter Tag" ist geistig relativ hoch entwickelt ist und kennt das Schachspiel, dem sie einen hohen Stellenwert zuweist. Diese Tatsache erlaubt es dem Leiter der Suchexpedition schließlich, die Freilassung der Verschleppten durch den Gewinn einer Schachpartie zu erreichen und so einen gewaltsamen Befreiungsversuch unnötig zu machen.

Manfred Mittelbach, Hamburg, weist auf Hal Fosters Prinz Eisenherz, König Zog verbirgt etwas, Band 47, in dem der Prinz eine Partie Lebendes Schach spielt, hin.

79. Albert Freiherr von Rothschild - Der Schachbaron von Wien

In einem 1994 in der italienischen Zeitschrift Scacchi e Scienze Applicate (Fasc. 14, S. 5-10) erschienenen Artikel weist Michael Ehn, Wien, auf den wesentlichen quantitativen und qualitativen Anteil von Juden an dem um die Jahrhundertwende so blühenden Wiener Schachleben hin. Dabei ragen unter den Schachmäzenen, die durch ihre teilweise erheblichen finanziellen Beiträge die Durchführung von Turnieren und das normale Wiener Vereinsleben unterstützten, insbesondere die Namen der jüdischen Familien Trebitsch und Rothschild hervor. Ohne die organisatorische und finanzielle Mitwirkung der Familien Trebitsch und Rothschild hätte kein einziges der großen Wiener Turniere zwischen 1873 und 1938 abgehalten werden können; auch die Wiener Schachgesellschaft (später Wiener Schachklub) und die Wiener Schachzeitung hätten ohne sie niemals jene historische Bedeutung erlangt. So hinterließ der Seidenfabrikant Leopold Trebitsch dem Wiener Schachklub 100.000 Kronen, von denen die bekannten Trebitsch Gedenkturniere finanziert wurden. Und im Jahre 1910 übersiedelte beispielsweise der Wiener Schachklub in das feudale Palais Herberstein, in dem zwei Stockwerke mit 16 (!) geräumigen Spielzimmern, Konversations- und Lesesälen den Mitgliedern zur Verfügung standen. Der höchste Mitgliederstand des Klubs wurde zwischen 1910 und 1916 mit über 600 erreicht.

Mit einem im Jahre 1910 auf etwa 1 Milliarde Kronen geschätzten Vermögen galt Albert Salomon Anselm Freiherr von Rothschild (1844-1911) als der reichste Mann Europas. Er war ein begeisterter Schachspieler und -liebhaber und schon früh, so schreibt Ehn, stand sein schachliches Talent außer Zweifel. Es wurde Wilhelm Steinitz, der soeben aus Prag nach Wien gekommen war und hier als Student wahre Hungerjahre erlebte, als Schachlehrer für Rothschild engagiert. Später förderte Rothschild mehrere Wiener Schachmeister unter denen sicherlich Ignatz Kolisch (1837-1889) der bekannteste sein dürfte. Unzählig sind die Anekdoten, die beschreiben wie Kolisch als Börsianer mit Hilfe Rothschildscher Ratschläge zum Millionär wurde.

 









 

Weinbrenner, L - Rothschild, A [D35]
Wien, 26.10.1874



1.d4 d5 2.c4 e6 3.cxd5 exd5 4.Sc3 Sf6 5.Lf4 Lb4 6.Db3 Sc6 7.e3 Lf5 8.Lb5 Lxc3+ 9.bxc3 0-0 10.Lxc6 bxc6 11.Sf3 Tb8
Die Einleitung einer tiefen Kombination, deren Umrisse beim nächsten Zug deutlicher hervortreten
12.Da4 Ld3 13.Dxc6 Tb2 Der weiße König wird umzingelt
14.Sd2 Sg4
Droht sofort oder gelegentlich Sf2:
15.Lg3 De7
Gewaltig. Schwarz droht Se3: und gewinnt dadurch ein Tempo für den Ausfall Da3
16.Dxc7 Da3
Prachtvoll. Schwarz fürchtet den anscheinend vernichtenden Schlag Ld6 nicht
17.Ld6 Txd2
Die Pointe der grandiosen Konzeption
18.Lxa3 Te2+ 19.Kd1
Länger könnte sich Weiß mit Kf1 behaupten. Der Sieg des Schwarzen wäre aber nur noch glänzender [19.Kf1 Txa2+ 20.Ke1 Txa1+ 21.Kd2 Ta2+ 22.Ke1 (22.Kxd3?? Sxf2# ) 22...Te2+ 23.Kd1 (23.Kf1 Txe3+ 24.Kg1 Te1# ) 23...Sxf2+ 24.Kc1 Tc2+ 25.Kb1 Txc3+-+ ]
19...Sxf2+ 20.Kc1 Tc2+ 21.Kb1 Txc3+ 22.Kb2 Txc7 23.Lxf8 Sxh1 24.Txh1 Kxf8
Anmerkungen von Georg Marco in: Wiener Schachzeitung 1911, S. 68



Max Weiss (1857-1927), ein verbummelter Mathematikstudent, „der dem Zauber des Schachspiels anheimgefallen war" (Wiener Schachzeitung, 1927 S. 89) erhielt 1890 eine Stellung im Bankhaus Rothschild, in dem er bis zu seinem Lebensende, zuletzt als Depotkassier, tätig war. Auch Berthold Englisch (1851-1897), Adolf Schwarz (1836-1910) und Bernhard Fleissig (1845-1931), die weder im bürgerlichen Leben Fuß fassen noch im Schach Weltruhm erlangen konnten, wurden mit der Hilfe von Rothschild zu erfolgreichen Börsianern. Rothschild wurde im Jahre 1868 Mitglied der Wiener Schachgesellschaft, war 1872-1883 ihr Präsident und seit 1885 ihr Ehrenpräsident. Er finanzierte zum größeren oder kleineren Teil alle Wiener Turniere zwischen 1868 und 1910: Für das Turnier 1873 (Sieger Steinitz) spendeten Rothschild 1000 Gulden (etwa 13.000.- DM) und Ignatz Kolisch 500 Gulden. Im Jahre 1882 (Sieger Steinitz und Winawer) gab er ein 15-gängiges Diner im Hotel Metropole. Auch das große Turnier in Wien im Jahre 1898 erhielt seine großzügige Unterstützung und die Idee zum Gambitturnier in Wien 1903 stammte von ihm.

Schachpraktisch errang Rothschild fast Meisterstärke. Es scheint, daß er nur sehr wenige Partien mit der Elite der Wiener Meister (Albin, Marco, Schlechter) wechselte und eher Meister kleineren Kalibers bevorzugte gegen die er mit gutem Erfolg kämpfte. Für gewöhnlich waren August Kaulla und Ludwig Weinbrenner, zwei alte Mitglieder der Wiener Schachgesellschaft, natürlich auch Ignatz Kolisch, später der Arzt Siegmund Pollak (1848-1912) und Hermann Lehnert (1842-1897), Herausgeber der Österreichischen Schachzeitung 1872-75 und der Österreichischen Lesehalle 1881-1896, seine bevorzugten Gegner. Die folgende Partie spielte Rothschild als dreissigjähriger junger Mann.

Albert Freiherr von Rothschild starb plötzlich und unerwartet am 11.2.1911. Wien hatte am Vorabend des Ersten Weltkrieges, in dessen Folge die Österreich-Ungarische Monarchie endgültig zerfiel, einen seiner größten Schachmäzene verloren.


Wir bitten Sie, alle Zuschriften per email zu richten an: Hallo@Ballo.de

weiter