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92. Francesch Vicent Francesch Vicent publizierte im Mai des Jahres 1495 ein Schachbuch, das sich überwiegend mit Problemen befaßte und das er bei dem deutschstämmigen Drucker Lope de Roca in Valencia in catalanischer Sprache drucken ließ. Dieses Buch ist verschollen und im Dunkel der Jahrhunderte verlorengegangen. Letzte sichere Angaben über die Existenz des Buches und seinen genauen Titel (Libre dels jochs, partitis dels schachs en nombre de 100) sind uns von Raymundus Diosdado Caballero, einem Jesuiten, und von dem deutschen Bibliophilen Georg Panzer übermittelt worden, die beide das Buch in der Bibliothek des berühmten Benedictinerklosters Santa Maria auf dem Montserrat bei Barcelona Ende des 18. Jhdts. noch gesehen haben. Weitere Angaben über das verschollene Buch und seine Bedeutung für die Bestimmung der Entstehungszeit des modernen Schach im Hinblick auf die Einführung der langschrittigen Schachfiguren finden sich bei von der Lasa: Zur Geschichte und Literatur des Schachspiels, Veit und Co., Leipzig 1897 sowie bei van der Linde: Geschichte und Litteratur des Schachspiels, Julius Springer, Berlin 1874, S. 309 und (in neuerer Zeit) bei Ricardo Calvo: Valencia, birthplace of modern chess. In: New in Chess, Nr 7 (1991), S. 82 ff. Bereits von der Lasa und van der Linde haben ausgangs des 19. Jhdts. mit nicht unerheblichem Einsatz versucht, Spuren des Buches zu finden und sind dabei erfolglos geblieben. Bemerkenswert finden wir deshalb die Anzeige eines Optimisten aus dem Hessischen, der doch allen Ernstes in der vierten Nummer von Spielforschung Aktuell (Hrsg. Prof Bauer, Salzburg) unter „Gesucht wird" im Stile eines Anzeigenblattes annonciert, er suche eben dieses oben genannte und verschollene Buch des Vicent. Immerhin, und dies mag sich der gute Mann gedacht haben, es mag sehr wohl sein, daß das Büchlein des Vicent, wahrscheinlich ein kleines Büchlein mit 100 Problemen, irgendeinem anderen Werk beigebunden wurde und so seiner Wiederentdeckung durch einen fleißigen Leser harrt. Auch das Handexemplar der von Luther zur Übersetzung verwendeten Bibel ist ja kürzlich nach mehreren Jahrhunderten wieder aufgetaucht. 93. Erich Eliskases wird 83 Jahre alt Einer der größten Schachmeister deutscher Sprache wurde am 15. Februar 1996 83 Jahre alt. Wir bringen eine bislang unveröffentlichte Partie des Meisters gegen den seinerzeit mit Eliskases stärksten Meister Österreichs Josef Lokvenc (1899-1974), die der Jubilar selbst mit Kommentaren versehen hat und gratulieren ganz herzlich. Die Partie wurde in einem Mannschaftswettkampf Innsbruck (Tirol) gegen Wien am 6. Juli 1934 in Klagenfurt-See gespielt.
94. Ernst Jünger und G. A. Rotlevi Über das Schicksal von G. Rotlevi (1889-1920) ist wenig bekannt. In den meisten Schach-Lexika fehlt der Name Rotlevi. Whyld (Oxford Companion to Chess), Golombek (Penguin Encyclopedia of Chess) und Litmanowicz (Szachy od A do Z) weisen auf die kurze, von 1909-1911 dauernde Periode hin, in der Rotlevi im europäischen Turnierschach durch sein starkes Spiel Aufsehen erregte und für höhere Schach-Weihen geeignet schien. Nach Angaben von Calle Erlandsson, Schweden, (zitiert in C.N. 1392; Vol. 6/1987) hieß Rotlevi nicht Georg oder Gersz wie in den o.g. Lexika vermerkt, sondern Gedali Abram Rotlevi. Erlandsson merkt an, daß es im Polnischen kein „v" gebe. Tatsächlich schrieb Bachmann in seinen Schachjahrbüchern zunächst „Rothlewy" später jedoch Rotlevi. Berühmt ist Rotlevis Verlust-Partie gegen Rubinstein (Rubinsteins Unsterbliche).
Ernst Jünger wurde am 29.3.1995 100 Jahre alt. Jünger ist wegen seiner Schriften, die zumindest teilweise als Verherrlichung von Soldatentum und Krieg angesehen werden können, umstritten. Er gilt jedoch als feinsinniger Beobachter und treffender Schilderer seiner Umwelt und inneren Gefühle. Immerhin erwiesen der ehemalige französische Staatspräsident Mitterand und Bundeskanzler Kohl dem Geburtstagskind zu dessen 100sten Geburtstag ihre Referenz und besuchten den 100jährigen in seinem Haus in Süddeutschland. Ernst Jünger hatte in seiner Jugend zu dem sechs Jahre älteren Rotlevi eine ganz besondere Beziehung, die nicht allgemein bekannt sein dürfte. Ernst Jüngers Rehburger Reminiszenzen in Subtile Jagden, Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1967 entnehmen wir die folgenden Zeilen, in denen wir einiges über den Menschen und Schachspieler Rotlevi erfahren. Manfred Mittelbach, Hamburg, verdanken wir den Hinweis, daß der Klett-Cotta Verlag Stuttgart anläßlich des Hundertsten Geburtstages von Ernst Jünger das Buch Subtile Jagden versehen mit 10 Farbstiftzeichen von Walter Linsenmaier in einer einmaligen Auflage von 1000 Exemplaren in einem großen Folio-Format neu herausgegeben hat (Halbleder ISBN 3-608-93309-3; Leinen ISBN 3-608-93310-7). Jedem Sammler und Schachliebhaber sei es auf das Wärmste empfohlen. „Damals begann das Schachspiel im Haus zu dominieren; es wurde nach dem Frühstück begonnen und getrieben, bis der Mittag die Partie unterbrach. Auch nach dem Abendessen wurde oft noch bis über Mitternacht hinaus gespielt. Die großen Bretter mit den Stauntonfiguren durften nicht abgestaubt werden, weil Hängepartien auf ihnen eingefroren waren oder ein Problem konserviert wurde. Außerdem führte der Vater bei Tag und Nacht ein Steckschach in Form einer Brieftasche mit, um sich im Bett oder auf Reisen mit dem Spiel der Spiele zu beschäftigen. Die Ankunft von Bücherpaketen gehörte zu den ersten Anzeichen einer neuen Manie. In diesem Falle kam zunächst der „kleine Dufresne" und dann der „Große Bilguer", dem folgten alte Werke bis zurück zu Philidors Zeiten, Biographien berühmter Spieler, Reihen von Zeitschriftenjahrgängen. Damals erfuhr ich zum ersten Mal, daß man selbst auf so beschränktem Felde die Hoffnung, „vollständig zu werden", bald aufgeben muß. Immerhin kam ein Grundstock zusammen, der sich auch Kennern vorzeigen ließ. Die Mutter, die andere Anschaffungen für wichtiger hielt, schüttelte oft den Kopf, wenn der Postbote kam. Aber in solchen Fragen können die Hausfrauen wenig ausrichten, denn im Rüstzeug sieht der Mann sich ungern beschränkt. ... . Auch lud er (der Vater Anm. HEB) Gäste ein, die für Wochen oder Monate im Haus weilten - Liebhaber gleich ihm wie Leonhard, den Vorsitzenden des Leipziger Schachklubs Augustea, oder den jungen Lasker, einen Neffen des Weltmeisters, der auch schon auf Turnieren geglänzt hatte. ... Wenig erbaut war die Mutter über den Aufenthalt von Berufsspielern wie etwa des Herrn von Wurtensleben, der in seiner Jugend als Anwärter auf die Weltmeisterschaft gegolten hatte, nun aber recht hinfällig geworden war. Bei Tisch mußte man ihm das Fleisch vorschneiden. Nur am Schachbrett zeigte sich der alte Löwe noch. Der Vater spielte mit ihm turniermäßig; eine Doppeluhr stand zwischen beiden auf dem Tisch. Rotlevi kam aus Lodz ... . Der Vater hatte ihn im Romanischen Café kennengelernt, wo er mit Amateuren spielte, die Partie um fünfzig Pfennig oder, wenn es hoch kam, um eine Mark. ... . Rotlevi war lang, hager, kränklich; die Nase ragte wie ein Papageienschnabel aus dem olivgrünen Gesicht. Bei uns war er zum ersten Mal auf dem Lande; der Garten, dann Feld und Wiesen waren ihm eine neue Welt. Den Wald vermied er; der schien ihm unheimlich. Bald merkte er, daß die Gänge ihm gut taten, ihn auf eine Weise belebten, die er nie gekannt hatte. Er streifte lieber mit uns Kindern durch die Gegend, als daß er mit dem Vater spielte, und wurde zum unermüdlichen Wanderer, doch ging er ungern allein. Noch spät am Abend kam er und forderte mich zu einem Gang in die Heide auf, von dem wir erst gegen Mitternacht zurückkehrten. Ich begleitete ihn gern. Sein Aufenthalt muß für mich in jenes Alter gefallen sein, in dem uns die Gesellschaft der Erwachsenen, der wir kurz vorher noch auswichen, zum Erlebnis und selbst zum Abenteuer wird. Die neue Welt wird zwar noch nicht gesehen und noch weniger begriffen, obwohl sie sich im Umriß wie am Ende einer Seefahrt ankündet. Wir wissen nicht, ob es Wolken oder Berge sind. ... . Offenbar brauchte er einen Vertrauten und nahm mit mir vorlieb. Wohl hätte er einen verständigeren Zuhörer finden können, doch keinen begierigeren. So pflegt der erste Roman auf uns zu wirken, weniger durch seinen Inhalt als durch den Einblick in eine neue Welt. Eines konnte mir nicht verborgen bleiben: die schwere Melancholie, die diesen Erwachsenen bedrückte, der im Grunde nur wenig älter war als ich. Doch wiegen in diesem Alter die Jahre schwer. Zum ersten Mal im Leben begegnete ich hier einem Typus, der mit der Differenzierung der Gesellschaft immer häufiger auftritt: frühreifer Begabung auf einem Feld der schönen Künste, die den Kenner überrascht und entzückt. Soll nun die Existenz darauf gegründet werden, so ergeben sich Probleme besonderer Art: Das Spiel ruht in sich selbst als Frucht der Muße; wo es zum Mittel wird, können böse Erfahrungen nicht ausbleiben. ... . Rotlevi ging schnell, als ob er eine Pflicht oder eine heilsame Übung verrichtete. Selbst im Krug war es schon dunkel, nur beim Pastor brannte noch Licht. Wir sahen ihn vor der Haustür stehen; er litt an Atemnot, die ihn in schwülen Nächten wie dieser ins Freie zwang. ... . Der Schachfreund ging noch schneller, um sich zu ermüden; er hatte die Erschöpfung durch körperliche Anstrengung als eine ihm unbekannte Wohltat entdeckt. Ich konnte mit ihm leicht Schritt halten, denn wir legten, wie wir es im „Lederstrumpf" gelesen hatten, oft lange Strecken in einer Art von Hundetrab zurück. Wir sprachen dabei über dieses und jenes, und immer hing seine Schwermut bleiern über dem Gespräch. Als wir die Friedhöfe wieder passiert hatten, hielten wir bei den Scheunen ein wenig an. Im Mondlicht sah ich das bleiche Gesicht; ... . Zu meinem Erstaunen hörte ich mich sagen, und ich erschrak, als ich es gesagt hatte: „Herr Rotlevi, ich halte das nicht länger aus. Ich kann nicht begreifen, warum Sie so traurig sind." War es eine Frage, eine Klage, eine Anklage? Ein Wagnis auf jeden Fall. Noch mehr erstaunte mich, daß ich auch eine Antwort erhielt - einer der Großen vertraute mir sein Geheimnis an. Ich sah ihn im Schatten des Strohdachs die Hände emporheben wie einen alten Propheten, der während einer langen Dürre um Regen fleht: „Was ist ein Leben ohne Liebesglanz?" War es ein Anruf, eine Gegenfrage? Ich ahnte es nicht; eine Klage war es gewiß. Ich kannte auch den Dichter nicht, der hier zitiert wurde. Aber ich fühlte, daß dem nichts hinzuzusetzen war. Wir gingen still durch den Ort zurück. ... ." Wir bitten Sie, alle Zuschriften per email zu richten an: Hallo@Ballo.de |