Home Nach oben

 

Zurück
Home
Nach oben
Weiter

Geschichte des Deutschen Schachbundes

 

 

in drei Teilen

 

von

Harald E. Balló, Offenbach/M.

Teil II

im Mai 2002

 

2. Teil 1880 - 1918

3. Konsolidierung und Umbruch (1880-1918)

Die Zeit von 1880 bis zum Ende des ersten Weltkrieges im Jahre 1918, der die bis dahin geltende und mühsam aufrecht erhaltene Ordnung Europas vollständig zerstörte und damit auch das Schachleben einer tiefen Zäsur unterwarf, kann hinsichtlich der Geschichte des hier interessierenden Deutschen Schachbundes im wesentlichen in zwei Zeitabschnitte gegliedert werden.

3.1. Die Zeit der Konsolidierung (1880-1894)

Nachdem insbesondere Hermann Zwanzig, aber auch einige andere tatkräftige Persönlichkeiten wie Emil Schallopp (1843-1919) und vor allem die Leipziger Schachfreunde um Hofrat Rudolf von Gottschall (1823-1909) von der „Augustea" und Dr. Max Lange (1832-1899), die Gelegenheit der Anderssen Jubiläumsfeier 1877 in Leipzig und die dort anhaltende Begeisterung zur Gründung des Deutschen Schachbundes genutzt hatten, kam es in der Folgezeit im wesentlichen darauf an, den Bund zu festigen und inhaltlich mit Leben zu füllen, damit die Schachfreunde in Deutschland die Existenzberechtigung des Bundes anerkennen konnten. In erster Linie bot sich hierzu, wie im übrigen auch unter § 1 der Statuten als Hauptzweck des DSB festgelegt, die Abhaltung regelmäßiger internationaler Kongresse an. Die internationalen Schachkongresse des DSB sollten überaus erfolgreich werden, denn sie erfüllten die Wünsche vieler Schachfreunde. Sie wurden ganz wesentlich durch die Person und den autoritären Führungsstil Hermann Zwanzigs geprägt und es mag eine Art Feuerzangenbowlen-Atmospäre geherrscht haben, in der Zwanzig im Stile des Rektor Knauer die Lage zwar autoritär, wie im wilhelminischen Deutschen Reich auch andernorts üblich, aber doch umsichtig und sensibel regelte. Die internationalen Kongresse des Deutschen Schachbundes sind durch die vorliegenden Kongressbücher gut dokumentiert und einzigartig in der Kulturgeschichte des Schachs. Sie stellen ein für alle Zeiten bleibendes Denkmal Deutscher Schachkultur dar und legen Zeugnis ab von einer beispiellosen Erfolgsgeschichte des organisierten Schachs in Deutschland. Diese Zeit darf im Rahmen der hier vorliegenden Trilogie zur Geschichte des Deutschen Schachbundes schon alleine deshalb eine herausragende, detaillierte Darstellung beanspruchen. Der Autor hat dennoch gerade im Hinblick auf die jedermann zugänglichen Reprints des verdienstvollen Olms-Verlages versucht, die Vorgänge um den DSB in der gebotenen Kürze wiederzugeben.

Bereits der in der Reichshauptstadt Berlin unter der Organisation von Emil Schallopp (1843-1919) durchgeführte zweite Kongress des DSB im Jahre 1881 sah ein starkes Teilnehmerfeld. Schallopp, der auch die ersten drei Kongressbücher des DSB verfasste, unterstützte den neu gegründeten DSB nach Kräften. Im Meisterturnier spielten u.a. Blackburne, Mason, die Paulsen-Brüder, Riemann, Schallopp, Tschigorin, Winawer und Zukertort. In Abweichung vom 1. Kongress wurde im Meisterturnier nur eine Partie pro Tag mit einer Bedenkzeit von 15 Zügen/Stunde gespielt (das Hauptturnier verlangte zwei Partien pro Tag). Sieger wurde mit deutlichem Abstand Blackburne (1841-1924) vor Zukertort, Tschigorin, Winawer und Mason, was bei den deutschen Schachfreunden für nicht unerhebliche Enttäuschung sorgte, war doch der beste, wirklich „deutsche" Teilnehmer, nämlich Minckwitz, nur als geteilter Siebter in’s Ziel gekommen.

Zwanzig, zum Generalsekretär auf Lebenszeit gewählt, hatte weiterhin unermüdlich auf seinen Reisen in Deutschland für den DSB geworben. Mittlerweile (1881) gehörten dem DSB 75 Vereine an, was einer Steigerung um 13 Vereine entsprach. Zwanzig erarbeitete unter Mitwirkung von Minckwitz, Riemann, Schallopp, Dr. Schmid und Wemmers neue Statuten, die auf dem 3. Kongress in Nürnberg 1883 mit nur geringen Änderungen angenommen wurden. Die Satzung war umfangreicher geworden und umfasste nunmehr 13 Paragraphen. Die Stellung des Generalsekretärs war stark. Im Turnier von 1883 gewannen wieder Ausländer die ersten Preise. Winawer wurde Sieger im Meisterturnier vor Blackburne, Mason und Berger. Am Nebenturnier nahm mit Phillipp Valerius auch ein Schachspieler aus Offenbach/M. teil. Das Festbankett konnte sich sehen lassen und wurde von 120 Mitgliedern des Kongresses besucht.

Die humoristisch gehaltene Speisekarte ist ein Meisterstück an Einfallsreichtum.

Die Generalversammlung war kurz und wenig kontrovers. Zwanzig berichtete, daß nunmehr 86 Schachvereine Mitglied seien, was einem erneuten Zuwachs von 18 Vereinen mit etwa 150 Mitgliedern entsprach. Veranlassung zu einer kurzen Diskussion bot lediglich eine von der Schachgesellschaft zu Offenbach/M. ausgehende Anregung zur Schaffung eines Bundesabzeichens. Weil die Ansichten hierüber jedoch sehr divergierten, wurde ein Beschluss in dieser Angelegenheit nicht gefasst, sondern dieselbe vielmehr dem Generalsekretär zur weiteren Erwägung überwiesen.

Der vierte Kongress des DSB fand 1885 in Hamburg statt. In dem von Minckwitz über den vierten Kongress 1885 in Hamburg herausgegebenem Kongressbuch wird auf das babylonische Sprachengewirr abgehoben, das die zum vorläufigen Vereinigungspunkt bestimmten Alsterhalle füllte. Es kann durchaus beispielhaft als Beleg dafür herangezogen werden, wie kosmopolitisch und weltoffen die Atmosphäre der Kongresse des DSB waren. Dabei war von Antisemitismus keine Spur. Minckwitz schreibt im Kongressbuch: „Hier bot sich dem Auge des unbefangenen Beobachters bald ein buntes Bild und dem lauschenden Ohre ein babylonisches Sprachengewirr dar. Wohlbekannte, auf allen größeren Kongressen vertretene, schachverdächtige und schachunverdächtige Physiognomieen aus aller Herren Länder tauchten auf. Dort die charakteristischen Köpfe der Schachhäupter und Schachhäuptlinge Capitän Mackenzie, Bird, Schallopp; hier das wohlwollende, von kurzem schwarzen Barthaar eingerahmte Antlitz des würdigen Herrn Generalsekretärs, daneben die breitschulterige, etwas vornüberhängende Gestalt des Herrn E. Hartwig und die geschmeidige des Herrn H. C. Fischer; da wieder die hohe ‚bis zum Genick reichende’ Denkerstirn des Herrn Dr. Schmid und die biderbe Persönlichkeit Wilfried Paulsens, sowie die unscheinbare, mit klugen, Witz und Ironie sprühenden Augen bedachte des kleinen Zukertort, und das muntere, Gesundheit strahlende, bartlose Gesicht Schurigs u.s.w.: Alt und Jung durcheinander. Nicht minder interessant das Sprachengewimmel. Hier plaudert das schneidige Berliner Kind mit einem gemütlichen, nonchalanten Österreicher, das heitere ‚Münchener Kindl’ mit den Hauptturnierspielern und eifrigen Schachjüngern Hamburgs – Joseph und Benjamin (die biblische Geschichte ist also vertreten: wir finden da u.a. noch einen David, wenn auch nicht Psalmensänger, so doch Konzertmeister!), dort scherzen und lachen die fröhlichen Studiosi oder vor kurzem in das Philisterland gezogenen alten Häuser W. Bauer, Dr. Tarrasch, Riemann, Mendelssohn, Seufert. Dr. Kauders und Professor Berger debattieren über die bevorstehende Entscheidung im Problemturnier ... . Die Engländer radbrechen in deutscher, die Deutschen in englischer Sprache. Kurzum:

Ein Vergnügen eig’ner Art

Ist doch so’ne Schächerfahrt".

Das Hauptturnier war in Hamburg so zahlreich besucht, daß vier Gruppen gebildet werden mußten. Aus der Siegergruppe ging Max Harmonist (1864-1907), königlicher Erster Tänzer, als Sieger hervor. Traditionsgemäß fand wieder eine Blindsimultanvorstellung statt, wobei Alexander Fritz (der blinde Hesse) gegen dieselbe Frau Hofschauspielerin Beck wie bereits 1883 in Nürnberg in galanter und liebenswürdiger Weise ein Remis abgab. Selbstverständlich wurde auch wieder ein Problemturnier veranstaltet. Ein Ausflug nach Blankenese, eine Hafenrundfahrt und die Rückkehr auf dem Alsterbassin in Mondscheindurchfluteter Nacht blieben allen Teilnehmern in angenehmer Erinnerung.

In der Generalversammlung wurde im Zuge eines vom Schachklub Darmstadt gestellten Antrages, den Generalsekretär mit einer Aufwandsentschädigung auszustatten, die Verdienste Zwanzigs um den DSB noch einmal ausdrücklich hervorgehoben. Die Versammlung bejahte die grundsätzliche Notwendigkeit einer Aufwandsentschädigung und es wurde eine Kommission bestehend aus Minckwitz, Schallopp und Riemann gebildet, die die Aufwandsentschädigung für die zurückliegenden Jahre auf insgesamt RM 150.- und für das kommende Jahr auf RM 150.- festlegte. Die Aktivitäten der Hessischen Schachvereine aus Frankfurt/M., Darmstadt und Offenbach/M. am Main dürften sicherlich der Hauptgrund dafür gewesen sein, daß der Vorsitzende des Schachklubs in Frankfurt, Wilhelm Bauer, den Zuschlag zur Ausrichtung des fünften Kongresses des DSB erhielt.

Dieser fand vom 17. Juli bis 31. Juli 1887 statt und hatte erneut großen internationalen Zuspruch. Die Kongresse des DSB, der nunmehr aus 92 Vereinen mit etwa 2500 Mitgliedern bestand, hatten sich zu allseits beliebten und anerkannten Schachturnieren entwickelt. Journalisten aus der ganzen Welt berichteten über die Turniere. Aus London waren regelmäßig Leopold Hoffer (1842-1913) als Berichterstatter für den von ihm und Zukertort (1842-1888) herausgegebenen Chess Monthly anwesend. Am Meisterturnier in Frankfurt nahm eine erlesene internationale Meisterschar teil: Mackenzie, New York, Blackburne, Gunsberg und Zukertort aus London, Burn aus Liverpool, Taubenhaus aus Paris, Schiffers und Alapin aus St. Petersburg, Weiss und Englisch aus Wien, Berger aus Graz, Dr. Noa aus Großbecskerek, Schallopp, von Bardeleben, Harmonist und von Schweve aus Berlin, von Gottschall aus Leipzig, L. Paulsen aus Blomberg, Metger aus Kiel, Tarrasch aus Nürnberg, und Fritz aus Darmstadt. Mackenzie gewann vor Blackburne und Weiss. Der Amerikaner Mackenzie spielte das Turnier seines Lebens und holte den ersten Preis im Meisterturnier. Der Offenbacher Phillipp Valerius holte in einem Nebenturnier mit drei aus sechs Punkten 50%. Das Geselligkeitsprogramm führte die Teilnehmer zu Ausflügen in den malerischen Rheingau mit Besichtigung des Niederwalddenkmals und der Burg Rheinfels. Alexander Fritz (der singende Hesse) gab eine Kostprobe seiner Gesangeskunst.

1889 traf man sich in Breslau. Tarrasch, 27 Jahre alt, holte den ersten Preis. Endlich hatte ein Deutscher und noch dazu ein „Kind aus Breslau", der Stadt Anderssens, des Vorkämpfers Deutschlands, den Sieg errungen, was die nationale Seele der Deutschen außerordentlich labte.

Der Sieg des Juden Tarrasch (1862-1934) wurde von den Schachfreunden im Deutschen Reich des Jahres 1889 als selbstverständliche Normalität angesehen. Tarrasch war zum Nachfolger Adolf Anderssens geworden und sollte späterhin auch den Titel Praeceptor Germaniae erhalten. Amos Burn, in Frankfurt noch abgeschlagen auf dem 11. Rang, erzielte den zweiten Platz und ließ sich sein Preisgeld - ganz der englische Snob - in englischen Goldmünzen auszahlen. Der 21jährige Emanuel Lasker (1868-1941) siegte im Hauptturnier und errang damit die Berechtigung zur Teilnahme am Meisterturnier des nächsten Kongresses. Alexander Fritz (1857-1932) aus Hessen gab das traditionelle Blindlingssimultan gegen zehn Gegner, bei dem er fünf Partien gewann, zwei remisierte und drei Partien verlor und sorgte dabei in der allgemeinen Bevölkerung für nicht unerhebliches Aufsehen. Die Werbewirksamkeit dieser Blindvorstellungen war erheblich. Das Geselligkeitsprogramm konnte sich mit den Höhepunkten in Hamburg (Alsterfahrt) und Frankfurt (Rheingaufahrt) messen und endete mit einem Feuerwerk während einer Dampferfahrt auf der Oder. Am Festmahl nahmen etwa 70 Personen teil.

An der am Sonntag, den 14. Juli 1889, abgehaltenen Generalversammlung nahmen nur wenige Vereine teil. Der Bund umfasste 96 Vereine mit etwa 2600 Mitgliedern und hatte damit seine Höchstmitgliederzahl erreicht und es war eine gewisse Stagnation im Verlauf zum vorherigen Kongress nicht zu übersehen. Zwanzigs Position war unverändert stark und unangefochten. Seine Kassenführung und Tätigkeit war tadellos, sodaß ihm die Versammlung Entlastung erteilte. Bemerkenswert ist, daß die Versammlung eine Ermäßigung des Bundesbeitrags für einen Arbeiterschachverein beschloß. Schach war zum weitverbreiteten Spiel geworden. Von besonderer Bedeutung war die Verabschiedung einer Problemturnier-Ordnung, welche unter führender Beteiligung des Österreichers Johann Berger (1845-1933) im Einvernehmen mit Kürschner, Kockelkorn und von Gottschall erarbeitet worden war.

Die Turniere des Deutschen Schachbundes waren zur Kader- und Theorieschmiede geworden und es erstaunt deshalb ganz besonders, daß ein Name auf den Teilnehmerlisten jener Jahre immer fehlt: Wilhelm Steinitz (1836-1900). Steinitz im deutschen Kulturkreis groß geworden, lebte zwar seit Mitte der 1880er Jahre in New York, doch wäre eine Teilnahme an den Turnieren des DSB logisch gewesen. Ein Grund für das Fehlen von Steinitz könnte in der Nähe von Leopold Hoffer und Johannes Zukertort zu den Kongressorganisatoren zu suchen sein. Zukertort und Hoffer waren beide seit Beginn der DSB-Kongresse regelmäßige Besucher und Teilnehmer an denselben. Steinitz hatte schon zu seiner Londoner Zeit Ärger mit Zukertort. Der Budapester Leopold Hoffer und der Prager Wilhelm Steinitz, beide der deutschen Sprache mächtig, führten über ihre Schachzeitungen (The Chess-Monthly, Hoffer; The International Chess Magazine, Steinitz) einen erbitterten Streit. So sollte Steinitz erst 1898 in Köln auf der „Suche" nach seinem im Mai 1894 an Lasker verlorenen Weltmeistertitel einen Kongress des Deutschen Schachbundes besuchen.

Im Hinblick auf das schwache Erscheinen der Vereine in Breslau 1889 gestaltete sich die Auswahl des nächsten Vorortes als schwierig und so fand der nächste Kongress des DSB erst drei Jahrespäter 1892 in Dresden statt. Der Bund schwächelte und hatte hinsichtlich seiner Mitgliederzahl den Zenit überschritten, denn er zählte mit 92 Mitgliedsvereinen sechs weniger als im Jahre 1889. Dennoch - das Geselligkeitsprogramm konnte sich mit den vorherigen Festlichkeiten in Hamburg, Frankfurt und Breslau wohl messen. Das Festbankett fand am Dienstag, den 19. Juli 1892 im großen Saal der Philharmonie statt und wurde durch die Anwesenheit des Altmeisters Max Lange, der extra aus Leipzig nach Dresden gekommen war, geehrt. Etwa 100 Gäste hatten sich eingefunden. Etwa 70 Gäste nahmen auch an der Dampferfahrt auf der Elbe in die sächsische Schweiz teil. Paul Schellenberg (1843-1920) veröffentlichte seinen vollkommenen Schachkorkser für 1 M 50. Das Turnier war von vielen Streitfällen geprägt und die Schiedskommission musste fast permanent tagen. Tarrasch wurde zum zweiten Mal Sieger, diesmal mit 1,5 Punkten Vorsprung und erhielt den mit 1000 Mark üppig dotierten Preis.

In der Generalversammlung, die bislang regelmäßig wenig kontrovers verlaufen war, musste Zwanzig erstmals seine ganze Autorität in die Waagschale werfen, um den Bund nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Anlaß war der von Schallopp vorgetragene Antrag der Berliner Schachgesellschaft, der DSB wolle beschließen, „daß in seinen Kongressen abwechselnd nationale und internationale Meisterturniere abgehalten werden". Zwanzig anerkannte zwar einerseits die Notwendigkeit zur Abhaltung von nationalen Turnieren, argumentierte aber andererseits, daß dies in Abweichung vom Begehren der Berliner Schachgesellschaft nur nach und nach geschehen könne, zumal der Bund nicht die finanziellen Mittel habe, um zusätzlich zu den internationalen Turnieren auch noch nationale Turniere materiell zu unterstützen. Vielmehr müssten die Klubs die Nationalturniere, wenn sie sie denn veranstalten wollten, selbständig und ohne Zuschuß aus der Bundeskasse veranstalten. Gleichzeitig verwahrte er sich gegen eine in seinen Augen „herabwürdigende Kritik", die in den einleitenden Worten zum Antrag der Berliner Schachgesellschaft zum Ausdruck gekommen war. Es ist bei der Lektüre der diesbezüglichen Berichterstattung spürbar, daß Zwanzig alle Register seiner ihm über die Jahre zugewachsenen Autorität benutzen mußte, um den Antrag der Berliner abzuschmettern. Unterstützung fand er dabei zunächst durch Tarrasch (Nürnberg), Metger (Kiel) und Seeger (Breslau). Freilich waren auch die Berliner nicht einheitlich in der Vertretung ihrer Interessen. Zwar war der Antrag publizistisch durch Albert Heyde und seine Mitarbeiter Heinrich Ranneforth und Oscar Cordel in dem von Heyde herausgegebenen Deutschen Wochenschach vorbereitet worden, doch scherte Cordel aus der Front aus und milderte den Druck auf Zwanzig ab. Nach lebhafter Diskussion einigte man sich schließlich einstimmig auf die von Cordel formulierte und von Tarrasch modifizierte Antragsfassung: „Die Delegiertenversammlung spricht den Wunsch aus, daß der Deutsche Schachbund nach Möglichkeit außer den alle zwei Jahre zu veranstaltenden Turnieren auch die Veranstaltung nationaler Turniere in die Hand nehmen möge". Eine wachsweiche Formulierung, die dem Generalsekretär unverändert freie Hand ließ. Auch ein weiterer Antrag der Berliner Schachgesellschaft, der maßgeblich von Albert Heyde inspiriert war, nämlich der Deutsche Schachbund wolle beschließen, daß „die Veröffentlichungen des Bundes durch den Generalsekretär den gelesensten deutschen Schachzeitungen zugehen sollen" wurde aus formalen Gründen abgelehnt. Die Art und Weise wie insbesondere dieser Antrag aus bloß formalen Gründen und nicht etwa nach inhaltlicher Diskussion abgelehnt wurde, hat sicherlich Verletzungen auf Seiten der Berliner hinterlassen. Sie dürften mit dazu beigetragen haben, in Berlin eine dem DSB im Grundton feindselige Stimmung hervorzurufen. Diese sollte Max Lange, der die Leitung des DSB nach dem Tode von Zwanzig im Jahre 1894 übernahm, noch zu spüren bekommen.

Es ist aus den Quellen einerseits nicht sicher ableitbar, daß Fremdenfurcht oder womöglich Antisemitismus die Bestrebungen der Berliner Schachgesellschaft und des Deutschen Wochenschachs leiteten. Bei der Schilderung der Vorgänge um die Anträge der Berliner Schachgesellschaft wird andererseits auch eine zunächst natürlich anmutende Entwicklung im allgemeinen deutschen Schachleben deutlich. Schach war nicht mehr das im kleinen Kreis und im Rahmen einer „freimaurerischen Verschwörergruppe" gepflegte Spiel, sondern hatte sich mit der zunehmenden Entwicklung des Schachlebens einhergehend mit der allgemeinen Industrialisierung Deutschlands ganz selbstverständlich in weiten deutschen Bevölkerungskreisen seinen Platz erkämpft. Gerade im „melting pot" Berlin, war der Ruf nach einem Turnier, an dem auch der „kleine Schächer" mitspielen konnte, nicht abwegig und eine Änderung des § 1 der Statuten, in dem nur die Veranstaltung von Kongressen verankert war, erschien logisch und zeitgemäß. Darüber hinaus waren die Kosten, die der jeweilige Vorort zur Veranstaltung eines großen internationalen Kongresses zu tragen hatte, ganz erheblich, denn der DSB steuerte lediglich 1000.- RM aus der Bundeskasse bei, was nur etwa einem Siebtel der Gesamtkosten entsprach. Es bestand in dieser Frage Handlungsbedarf, die Zeit des Umbruchs nahte. Dies war allen Kongressteilnehmern klar und so war der nächste Kongress 1893 in Kiel ein nationaler Kongreß, der jedoch bezüglich der Statuten zunächst keine nennenswerte Änderung brachte. Metger (1851-1926) gab das deutlich umfangärmere Kongressbüchlein heraus.

3.2. Die Zeit des Umbruchs (1894-1918)

Es ist hypothetisch zu fragen, wie Zwanzig die Probleme und potentiellen Konfliktpunkte der neuen Zeit angegangen wäre, denn er starb kinderlos am 6. Januar 1894 auf einer Reise in Gera wahrscheinlich an einem Herzinfarkt. Der Deutsche Schachbund stand ohne Leitung da und die Gemengelage im Deutschen Reich und Österreich-Ungarn war außerordentlich komplex.

Da waren die Befürworter einer Stärkung und Fortführung der internationalen Turniere, für die beispielhaft Tarrasch stehen mag. Bereits am 16. Januar 1894, 10 Tage nach Zwanzigs Tod, veröffentlichte Tarrasch im Deutschen Wochenschach (Chefredakteur: Albert Heyde) offensichtlich bereits vor Zwanzigs Tod erarbeitete Vorschläge zur Neuorganisation des Bundes. Dabei betonte er, auf den niedrigen Zuschuss des DSB zu den Kongresskosten abhebend, „die Ueberflüssigkeit des Deutschen Schachbundes, wenn derselbe nur die verhältnismässig geringe Summe von 1000 Mk. beisteuert" und meinte weiter „so veranstaltet nicht er den Kongress, sondern der Vorort, welcher auf diese 1000 Mk. ganz gut verzichten könnte ... „. Tarrasch legte seinem eigenen Interesse entsprechend besonderen Wert auf die Abhaltung internationaler Turniere durch den DSB. Die zwei Hauptpunkte des Tarrasch’schen Vorschlages waren 1. „der Deutsche Schachbund muss mehr Geld beisteuern" und 2. „die Kosten eines Kongresses müssen verringert werden". Es entspann sich im Deutschen Wochenschach (nicht der Deutschen Schachzeitung) eine Diskussion, in der sich Tarrasch auch für eine Demokratisierung des Bundes einsetzte: „Bisher war Zwanzig Alles: Vorsitzender, Schatzmeister, Schriftführer, Kongressleiter. ... Dieses ungeheuerliche Verhältnis muss aufhören. Nicht Einer muß Alles thun, sondern die einzelnen Funktionen müssen vertheilt werden". Tarrasch erhielt weitestgehende Zustimmung bei den Mitgliedern der Berliner Schachgesellschaft und fand Unterstützung insbesondere auch durch Albert Heyde (1866-1920), der mit der Herausgabe des allwöchentlich erscheinenden Deutschen Wochenschachs eine mächtige publizistische Aktivität entfaltete.

Auch die Förderung des nationalen Nachwuchses wurde erstmals vom Dresdner Geheimrat Dr. Robert Wuttke thematisiert. Seine Ausführungen repräsentierten dabei die Meinung einer starken Gruppe innerhalb des DSB, die für eine Regionalisierung des deutschen Schachs im Sinne des Aufbaus von Verbandsstrukturen eintrat, um das allgemeine schachliche Niveau zu stärken und der Basis gleichzeitig auch etwas an Gegenleistung für den Eintritt in den Bund zu bieten, denn die zunehmende Zahl der Schachspieler wollte nicht nur die großen Meister auf den internationalen Turnieren bewundern, sondern selbst schachpraktische Erfolgserlebnisse in Turnieren erzielen. Dabei führte der dem Berliner Kreis nahestehende Wuttke jedoch einen Zungenschlag in die Diskussion ein, der das nationale Element gefährlich instrumentalisierte: „In den Jahren 1879-1892 hat der Bund 7 internationale Kongresse mit einem Kostenaufwand, von rund 47,000 Mk. abgehalten; es beteiligten sich daran 62 Ausländer, die 14,485 Mk. gewannen, und 61 reichsdeutsche Meister, die nur 4965 Mk. an Preisen errangen .... . Während desselben Zeitraumes wurden im Ausland Oesterreich, England, Nordamerika – ebenfalls nur 8 grössere internationale Turniere abgehalten, an denen 8 Reichsdeutsche ... teilnahmen; über 60,000 Mk. kamen an Preisen zur Verteilung, davon gewannen die Deutschen 2450 Mk. ....". Wuttke führte weiter aus, daß die Stärke des deutschen Schachspieles in der Abhaltung der Hauptturniere liege und formulierte Forderungen, wie sie ähnlich bereits Max Lange 30 Jahre früher aufgestellt hatte: „Wir Deutsche verlangen keinen Einheitsstaat, sondern Selbständigkeit der Glieder; ... wir müssen, wo es geht, im Anschluss an bestehende Vereine, wie dem bayrischen, erzgebirgischen usw. Bund, neue Kreis-, Stamm- und Landschaftsverbände, einen sächsischen, schlesischen usw. Bund bilden, deren Aufgabe darin bestände, innerhalb ihres Kreises kleinere Turniere abzuhalten, die Gelder flüssig zu machen und einzuziehen und die einzelnen Vereine fester an das ganze anzugliedern. Aus diesen Vereinigungen bestehe der allgemeine, deutsche Schachbund; ihre Vorstände wählen den Bundessekretär und unterstützen ihn in der Leitung.

Max Lange übernahm 1894 nach dem Tode Hermann Zwanzigs interimistisch die Leitung des Bundes. Die Leipziger Schachfreunde im Verein der „Augustea" sprangen ein und sorgten durch die Übernahme der Organisation des Schachkongresses in Leipzig 1894 zunächst dafür, daß eine geordnete Delegiertenversammlung zur Besprechung der drängenden Fragen stattfinden konnte. In der Gründungsphase des Bundes waren die Meister weitgehend integriert in die Gemeinschaft eines relativ kleinen Kreises Verschworener gewesen. Mit zunehmender sozioökonomischer Entwicklung und Vermassung des Schachspiels war dieser mehr private Kreis seiner "heimelnden" Atmosphäre verlustig gegangen und es war notwendig geworden, Strukturen zu finden, die, auf breitere und vor allen Dingen demokratischere Beine gestellt, ein besseres Funktionieren des Bundes und ein größeres Mitsprachrecht seiner Mitglieder gewährleisten konnten. Dabei ging es letztlich auch um Verbandsstrukturen, Machtverteilung und die Heranziehung des Nachwuchses. Gerade die zu Beginn des Bundes zunächst so erfolgreiche Strategie Zwanzigs, die Vereine selbst für den DSB zu rekrutieren, erwies sich nun als Hemmschuh und wenig zukunftsfähig, denn es fehlte mit wachsender Mitgliederzahl der organisch gewachsene, strukturelle Unterbau, der in der Lage gewesen wäre, einen lokalen Spielbetrieb zu organisieren. Dies sollte noch für eine ganze Reihe von Jahren so bleiben. Dennoch war insofern Lange, der ja schon in den 1860er Jahren die Organisation regionaler Schachverbände gefördert und gefordert hatte, der ideale Mann, der zumindest vom theoretischen Rüstzeug her den Bund in neue Zeiten hätte führen können.

Max Lange. 2. Präsident des DSB

Der DSB stand „vor einem Wendepunkte" seiner Entwicklung. Das sah auch Max Lange in seiner Eröffnungsansprache zum Kongreß in Leipzig 1894 so. Langes Antrag auf dem Kongress, der bereits im Vorfeld von Tarrasch und Heyde im Deutschen Wochenschach heftig bekämpft worden war, strebte für den Bund den Erwerb des Korporationsrechtes im Sinne einer juristischen Person an. Aufgrund der juristischen Rahmenbedingungen im Deutschen Reich und des Freistaates Sachsen hätte der Erwerb eines solchen Korporationsrechtes jedoch nur realisiert werden können, wenn Leipzig ständiger Sitz des Bundes geworden wäre und dabei sämtliche Vorstandsmitglieder aus dieser Stadt gekommen wären. Viele Mitglieder des DSB hatten deshalb die nicht unbegründete Furcht, sich damit einer von Partikularinteressen geleiteten Hegemonie Leipzigs und der Augustea zu unterwerfen, sodaß unter Führung von Heyde und Tarrasch der Antrag Langes zu Fall gebracht wurde. Zwar erhielt Lange, der nach humanistischer Bildung ein Doppelstudium in der Jurisprudenz und der Philosophie absolviert hatte, allseits ausgiebiges Lob ob seiner geschliffenen Vorträge und Reden. Er scheint aber zu einem intellektuellen Hochmut geneigt zu haben, der ihm nicht nur Freunde machte. Lange zeigte ein feines Gespür für Macht und ließ sich nicht so einfach das Ruder aus der Hand nehmen. Er wurde auf weitere zwei Jahre zum Bundesverwalter gewählt, was ein Erfolg war, denn die Gruppe um Heyde hatte versucht, den Berliner John Bierbach durchzusetzen. Langes Verhandlungsführung während des Kongresses, in der ihn pikanter Weise das Ehrenmitglied der Berliner Schachgesellschaft Emil Schallopp unterstützte, provozierte aber erheblichen Unmut. Es war eine Pattsituation entstanden, in der sich keine der beiden Seiten in reiner Form hatte durchsetzen können, weshalb die eigentlich drängenden Fragen, wie Aufbau eines lokalen und nationalen Spielbetriebes zur Befriedigung der Bedürfnisse des „normalen" Schachspielers und ökonomische Sicherung der Mittel zur Veranstaltung der erfolgreichen und anerkannten internationalen Turniere des DSB nicht geklärt bzw. angegangen wurden. Die Generalversammlung vertraute die weitere Ausarbeitung der Statuten deshalb einer Kommission an, welche aus Tarrasch, Bierbach (Berlin) und Lange bestand und in der Lange somit in der Minderheit war. Die Kommission sollte nie tagen. Die Versammlung beschloss darüber hinaus, den nächsten Kongress 1896 in Nürnberg stattfinden zu lassen. Es gelang Lange in der Folgezeit nicht, die Schachfreunde im DSB zu vereinen. Dafür scheinen auch persönliche Inkompatibilitäten der damals im DSB einflussreichen Personen verantwortlich gewesen zu sein, denn man warf sich gegenseitig Machtstreben (Tarraschs Vorwurf an Lange: Posten im DSB) und persönliche Eitelkeit (Langes Vorwurf an Tarrasch: Veranstaltung eines internationalen Turniers) vor. Es ist vor diesem personellen Hintergrund aus heutiger Sicht nicht ganz klar, inwieweit die zum Ende des 19. Jahrhunderts aufgetretenen strukturellen und konzeptionellen Probleme des DSB überhaupt hätten gelöst werden können.

Im Vorfeld zur Organisation des 10. Bundeskongresses kam es schließlich zum Eklat und die Nürnberger Schachfreunde um ihren 1. Präsidenten Siegbert Tarrasch traten aus dem DSB aus. Der zu intellektuellem Hochmut neigende Geist des 64jährigen Altmeisters Lange, Sieger der ersten drei Turniere des westdeutschen Schachbundes, Verfasser vieler schachpraktischer Bücher und Angehöriger der „Patrizierkaste" in Leipzig, vertrug sich nicht mit dem selbständigen und unabhängigen Geist des 34jährigen, aufstrebenden und sich als Weltmeister fühlenden, jungen Meisters Siegbert Tarrasch, der für Deutschland Erster in der Welt sein wollte. Die Nürnberger veranstalteten auf eigene Rechnung ein internationales Turnier. Die damaligen Interessen Tarraschs, mit denen er sich im Einklang mit vielen im DSB und insbesondere der Berliner um John Bierbach wusste, formulierte er selbst im Turnierbuch am besten: "Meine verehrten Meister der edlen Schachspielkunst! Als wir vor zwei Monaten die Einladungen zu unserem Turnier ergehen ließen, da schwebte uns als leitende Idee, als ein Ziel, auf’s Innigste zu wünschen, der Gedanke vor, ein Turnier zu stande zu bringen, an welchem nur die wirklichen Meister des königlichen Spiels unter sorgfältigem Ausschluß aller Dilettanten teilnehmen sollten, ein Turnier, in welchem es für jeden die höchste Ehre wäre zu siegen und für niemanden eine Schande zu unterliegen". Tatsächlich waren alle großen Meister der Zeit in wohl nie mehr so erreichter Vollzähligkeit vertreten und es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, daß Tarrasch, der als Sieger der drei vorausgegangenen internationalen Turniere des Deutschen Schachbundes in Breslau (1889), Dresden (1892) und Leipzig (1894) sowie als Sieger der großen Turniere in Nürnberg 1888 und Manchester (1890) ganz selbstverständlich den Weltmeistertitel für sich beanspruchte, auf seinem „eigenen" Turnier nicht Sieger wurde, sondern seinem Rivalen Lasker den Vortritt lassen musste.

Max Lange organisierte unterdessen zeitgleich einen DSB-Kongress in Eisenach, auf dem er in Konkurrenz zu dem von den Berlinern vorgeschlagenen Gegenkandidaten John Biermann nach heftigen Debatten auf zwei Jahre erneut zum Bundesverwalter gewählt wurde. Dabei machte er sich zum Sprachrohr der anderen Strömung im DSB: „Man wird sich über die Frage auszusprechen haben, ob die wahre Förderung des Schachspieles in Deutschland, die den Grundzweck des Schachbundes bildet, lediglich durch immer kostspieligere Ausstattung von internationalen Meisterturnieren mit ihrer natürlichen Begünstigung des berufsmässigen Schachtreibens, oder ob sie neben einer massvollen Rücksicht auf das schachliche Artistenthum auch durch mindestens gleichberechtigte Wahrnehmung der Interessen aller deutschen Schachfreunde, die das edle Spiel ausschliesslich als eine bevorzugte Geisteserholung pflegen, sowie durch die Fürsorge für thunlichste Verbreitung des Schach in immer weitere Kreise erreicht werde.

Die derzeitige Bundesverwaltung neigt sich dem letztgenannten Standpunkte zu und erblickt in einer weisen Beschränkung der Meisterpreise, in Hebung und Erweiterung der Hauptturniere, sowie in einer verhältnismässig stärkeren Verwendung der Bundesmittel als bisher auf die allgemeine Förderung des Schachspieles den eigentlichen Werth des Schachbundes, dessen Mitgliedern für ihre regelmässigen Steuerleistungen noch eine greiflichere Gegenleistung gebührt als das stolze Bewusstsein, durch ihre Beiträge dem jedesmaligen Vororte zu einer recht glänzenden Ausstattung seiner internationalen Meisterturniere zu verhelfen."

Dr. Trimborn, dritter Präsident des DSB

Daraufhin traten auch die Berliner Schachgesellschaft und in der Folgezeit viele weitere süddeutsche, brandenburgische und andere Vereine aus dem DSB aus. Der DSB war in eine Krise geraten und als Lange am 8. Dezember 1899 verstarb, zählte der Bund nur noch etwa 45 (nach anderer Angabe 36) Vereine. Der 12. Kongress des DSB fand im Jahre 1900 in München unter der Leitung von Dr. Trimborn statt, der 1898 auf dem 11. Kongresss in Köln zum Stellvertreter Langes gewählt worden war. Man einigte sich in München auf die folgende Richtschnur „1. Es soll eine Form gefunden werden, die es ermöglicht, den Deutschen Schachbund nach den Vorschriften des BGB. in das Vereinsregister eintragen zu lassen. 2. Die bisherige Gliederung des Bundes in Vereine und Einzelmitglieder ist beizubehalten." Die Probleme, eine angemessene und tragfähige, juristisch einwandfreie Konstruktion für den DSB zu finden, waren nicht unerheblich und es verwundert deshalb nicht, daß die Verhandlung und Diskussion zunehmend Züge eines juristischen Fachseminars annahmen. Juristen wie Landgerichtsrat Schwan aus Cleve und Amtsgerichtsrat Friedländer aus Cöln nahmen sich der Sache des Bundes an, zunächst unter der Leitung des Arztes Trimborn, dann des Lehrers Gebhardt. Eine fast reine Funktionärstruppe bestimmte die weiteren Geschicke des DSB. Dies sollte in der Folgezeit auch weitgehend so bleiben, auch wenn Trimborn und Schwan noch vor dem nächsten Kongress 1902 in Hannover von ihren Ämtern zurücktraten.

Rudolf Gebhardt, vierter Präsident des DSB

Die Berliner Schachgesellschaft und der Nürnberger Tarraschklub und viele andere Vereine waren dank der Bemühungen von Gebhardt dem DSB 1901 wieder beigetreten und man bemühte sich, im Sinne eines Kompromisses und zuweilen auch der (finanziellen) Not gehorchend in der Folgezeit zweijährlich alternierend nationale und internationale Turniere zu veranstalten. Hannover 1902 war ein internationales Turnier auf dem Pillsbury seine berühmte Blindlingsvorstellung gegen 21 starke Hauptturnierspieler gab. Coburg, der Wohnsitz von Gebhardt, beherbergte 1904 einen nationalen Kongress, Nürnberg 1906 war wieder Schauplatz eines internationalen Turniers und Düsseldorf richtete 1908 einen nationalen Kongress aus, wobei dieser jedoch besondere Bedeutung durch den Wettkampf um die Weltmeisterschaft zwischen Lasker und Tarrasch erhielt. Das Kongressbuch, das regelmäßig Anlaß zur Kritik wegen seines späten Erscheinens geboten hatte und unter Langes Ägide überhaupt nicht mehr erschienen war, wurde in Hannover 1902 erstmals in mehreren Lieferungen erstellt und herausgebracht, um eine bessere Aktualität zu gewährleisten, wobei dies jedoch zu Lasten der Qualität der Anmerkungen ging. Auch die Landesverbände begannen sich zu konstituieren und bildeten zunehmend den für einen Spielbetrieb erforderlichen strukturellen Unterbau. Eine neue Zeit hatte begonnen und eine neue Generation hatte das Ruder übernommen, wenn auch der verdienstvolle Rudolf Gebhardt (1859-1929), ein Lehrer der alten Sprachen und Leiter des Gymnasiums in Coburg, die alte patriarchalische Feuerzangenbowlen-Atmosphäre noch einmal perpetuieren sollte.

Tarrasch konnte den nur drei Jahre älteren Gebhardt akzeptieren und widmete ihm das Kongressbuch. Gebhardt erließ im Juni 1906 an die Vorstände der Provinzialverbände das folgende Schreiben: „Zu den vornehmsten Zielen des D. Schachbundes gehört es, die Ausbreitung des Schachspiels innerhalb des Deutschen Vaterlandes fördern zu helfen und der gesunden Entwicklung dieser edlen Beschäftigung nach Kräften Vorschub zu leisten. Er glaubt eine wesentliche Unterstützung dieser Bestrebungen in der Bildung von Sonderverbänden zu sehen, weil dadurch das Schachleben im engeren Kreise gekräftigt und zugleich der Sinn für den Wert einer Organisation geweckt und ausgebildet wird. Der Zusammenschluß der einzelnen Vereine zu Landes- oder Gauverbänden muß unzweifelhaft dem einzelnen wie der Gesamtheit zugute kommen, ein wirklich ersprießliches Zusammenwirken dürfte aber wohl erst dann in der wünschenswerten Weise empfunden werden und sich geltend machen, wenn die Einzelverbände und der Deutsche Schachbund enge und dauernde Beziehungen zu einander unterhalten." Gebhardt lud die Landesverbände zu einem Treffen ein, an dem Vertreter der Landesverbände Niederrhein, Saale, Thüringen, Bayern und Berlin sowie Vertreter von Gegenden ohne organisierten Verband wie Südwestdeutschland, Posen, Sachsen und Österreich teilnahmen.

Auch die publizistischen Aktivitäten des Bundes, früher Stein des Anstosses bei dem in Konkurrenz zur Deutschen Schachzeitung stehenden Deutschen Wochenschach bündelte Gebhardt durch Gründung der Deutschen Schachblätter im Jahre 1909. Gebhardt hatte erfolgreich die zum Ende des Jahrhunderts auf den Versammlungen erkannten und so heftig und kontrovers diskutierten Problempunkte nach und nach geregelt und den DSB reformiert und zukunftsfähig fortentwickelt.

Ein Meilenstein hinsichtlich Teilnehmerzahl und Organisation war dann auch der 1910 in Hamburg auf Einladung von Robinow veranstaltete 17. Kongress des DSB, der auch nicht oder nur unwesentlich durch den Rücktritt des aus Berlin kommenden Schriftführers Dr. Lewitt in seiner Bedeutung gemindert werden konnte. Und 1912 in Breslau war der Deutsche Schachbund die führende Weltmacht im Schach. Zwar trat Berlin am 31.10.1911 erneut aus dem DSB aus, doch sorgte Gebhardt mit ausdauerndem Beharrungsvermögen dafür, daß die Berliner Schachgesellschaft im Oktober 1913 wieder eintrat.

Als der I. Weltkrieg 1914 ausbrach und das Mannheimer Turnier infolgedessen unterbrochen werden musste, umfasste der Deutsche Schachbund mehr als 180 Vereine mit etwa 5000 Mitgliedern, doch der I. Weltkrieg veränderte die Weltlage und zerstörte die überkommene Ordnung. Die Welt der Feuerzangenbowle war endgültig zerstört. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, daß 1920 auf dem ersten Kongreß des DSB nach dem Krieg in Berlin, Gebhardt nicht mehr kandidieren sollte. Er starb am 27. Mai 1929. Er hatte viel für die Sache des Schachs in Deutschland erreicht und mit beharrlicher Diplomatie nach Außen und bemerkenswerter Reformkraft im Innern den DSB zur stärksten Kraft im Weltschach gemacht.

Siehe auch das hierzu erscheinende Buch über die Geschichte des DSB, das Ende 2002, Anfang 2003 in einer revidierten und mit umfangreichem Bildmaterial versehenen Fassung erscheinen wird.

Wir bitten Sie, alle Zuschriften per email zu richten an: Hallo@Ballo.de

weiter