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15. Lilienthal und die Dame Unser Lieblingsschachmeister, der Ungar Andor Lilienthal, geb. am 5. Mai 1911 in Moskau, durchstreifte in seiner Jugend das Europa der zwanziger und dreißiger Jahre. In Paris traf er auf Duchamp, Tartakower, Aljechin und andere. In Wien kämpfte er im Café Central gegen Grünfeld, Becker, Müller und Hönlinger. In London und Hastings kämpfte er gegen Capablanca und andere. Lilienthal berichtet in seinen Erinnerungen (Lilienthal, Andor: Schach war mein Leben. Harri Deutsch, Frankfurt 1988, S. 14 ff.), daß er in Wien Ende 1929 in einem Simultan gegen Capablanca gepielt und ein Remis erzielt habe. Niemals zuvor und auch nicht danach habe er so viele Frauen bei einem Schachsimultan gesehen. Der damals 18-jährige Lilienthal versuchte, nach dem Ende der Partie eine Unterschrift vom großen Capablanca zu erhalten. Dieser aber enteilte flugs mit einer der Schönen des Abends. Fünf Jahre später trafen die beiden im Weihnachtsturnier von Hastings erneut aufeinander. In Chess Notes Nr. 1294 referiert Edward Winter aus Lajos Steiner: Kings of the Chess Board. Roseville (N.S.W.) 1948, daß Lilienthal vor Beginn des Turniers in Hastings 1934/35 halb im Spaß gesagt haben soll, er werde gegen den Kubaner mit einem Damenopfer siegen. Dann werde er, Lilienthal, dem Kubaner ein Autogramm geben. Angeblich sei Lilienthal nämlich darüber verärgert gewesen, so Lajos Steiner, daß Capablanca bei dem Simultan in Wien die Unterschrift verweigert habe. Tatsächlich opferte Lilienthal gegen den Kubaner die Dame und gewann die Partie in großem Stil.
16. Baldur Hönlinger (SZ 4) Norbert Fieberg, Witten, teilt mit, daß sowohl Feenstra Kuiper, Dr. P.: Hundert Jahre Schachturniere, Ten Have, Amsterdam 1964, S. 262 als auch Gaige, J.: Chess Personalia, McFarland, Jefferson USA 1987, S. 178 Wien (und nicht Brünn) als Geburtsort Hönlingers ausweisen. Als Todestag von Hönlinger gibt er den 12.3.1990 an. Michael Ehn, Wien, und Wolfgang Pieper, Osnabrück, machen darauf aufmerksam, daß ein großer Teil von Hönlinger-Partien (mehr als 130) in den Turnierbüchern der Wiener Trebitsch-Turniere zu finden sind. 17. Lilienthal und die Springer Anläßlich des Kongresses des Westdeutschen Schachbundes in Düsseldorf legte Tassilo von Heydebrand und der Lasa im September des Jahres 1862 den Versammelten eine Endspielstellung vor (Lange, M. [Hrsg.]: Jahrbuch des Westdeutschen Schachbundes 1862, Veit und Comp., Leipzig 1862, S. 33), die er mit „Endspiel von Chapais" überschrieb.
Es handelt sich um das Endspiel König und zwei Springer gegen König und Bauer. Der Kongreß akzeptierte es als Preisproblem für das Jahr 1862. Gewinner des Wettbewerbes wurde Baron von Guretzky-Cornitz aus Berlin (Lange, M. [Hrsg.]: Jahrbuch des Westdeutschen Schachbundes. Veit und Comp., Leipzig 1863, S. 18 ff.; siehe auch Deutsche Schachzeitung 1862 und 1863). Die Geschichte der Lösung dieses Endspiels ist gut und ausführlich von Johann Berger: Theorie und Praxis der Endspiele. 2. Aufl. deGruyter, Berlin 1922, S. 427 ff. dokumentiert. Es haben Troitzky, Paul Jahn, H.F.L. Meyer, O.D. Henry, Kling, Horwitz u.a. an dem Endspiel gearbeitet. In neuerer Zeit hat ein Niederländer (Bijl, C.M.: Het Eindspel Koning + 2 Paarden Tegen Koning + Pion, Selbstverlag Leidschendam 1980) einen kurzen Abriß der Geschichte dieses interessanten Endspiels gebracht. Alain Pallier hat im Mai-Heft von L’Italia Scacchistica. Nr. 1063, Mailand 1994, S. 174 ff., einige Partien neueren Datums gebracht. Inzwischen ist es auf einer CD der Chess Base GmbH, Hamburg, der vollständigen Lösung zugeführt. Es sind uns einige Partien bekannt, in deren Verlauf es zu dem hier interessierenden Endspiel kam. Bemerkenswerterweise befinden sich hierunter alleine zwei Partien von Andor Lilienthal (Norman - Lilienthal, Hastings 1934/35 und Smyslow - Lilienthal, Leningrad-Moskau 1941). Noch mehr erstaunt, daß Lilienthal keine der beiden Partien gewinnen konnte. Dr. Jean Mennerat, Frankreich, der uns auf die Zusammenhänge hinweist, teilt mit, daß Michail Botwinnik in Botwinnik,M.: Championship Chess. MacGibbon & Kee, London 1950, S. 151 ff. die Partie Smyslow - Lilienthal kommentiert. Dort schreibt Botwinnik (S. 155 ff.): „Im allgemeinen erscheint dieses Endspiel selten im praktischen Spiel. Dennoch, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, hatte Lilienthal bereits zweimal vorher (Ironie des Schicksals!) eben dieses Endspiel auf dem Brett und weder in der einen noch der anderen Partie konnte er den Weg zum Sieg entdecken." (Übersetzung H.B.). Jean Mennerat fragt, ob jemand diese dritte „Springer"-Partie von Lilienthal, die gemäß den von Botwinnik gemachten Anmerkungen vor 1941 gespielt worden sein muß, angeben kann. (Die großen Jungs mit den dicken Datenbanken bitte vorneweg). 18. Schach in harten Zeiten - A.P.Weber Schon Georg Marco, der Herausgeber der Wiener Schachzeitung, schrieb im September/November-Heft 1914, dem ersten Jahr des Weltkrieges: „Unsere edle Kunst - im Frieden leider von so wenigen gewürdigt - wird jetzt im Kriege für viele die einzige Quelle geistiger Genüsse." Manchem mag das Schachspiel das Leben erleichtert oder sogar gerettet haben, wie es Stefan Zweig so trefflich in seiner „Schachnovelle" darstellte. Der Künstler A. Paul Weber fertigte in der Haft im Nürnberger Polizeigefängnis die ersten Zeichnungen seines Zyklus von „Schachspielern". Ein bekanntes, autobiographische Züge aufweisendes Bild ist "Mit sich selbst" bezeichnet und zeigt einen Schachspieler auf einer kargen Pritsche alleine über ein kleines Schachbrett mit kleinen, selbst gefertigten Pappkarton-Figuren gebeugt (Nicolin,G.: A. Paul Weber. Schachspieler. Christians, Hamburg 1988, S. 8 ff.). Weber war wegen seiner Mitgliedschaft im Widerstands-Kreis um Ernst Niekisch inhaftiert worden. 19. Philidor Am 31.8.1995 jährt sich der zweihundertste Todestag von Francois-André Danican Philidor (*7.9.1726, +31.8.1795). Es ist zu erwarten, daß dieses Datum eine Reihe von Publikationen hervorbringen wird. Fernando Arrabal hat im Le Figaro vom 9.8.1994 im Rahmen einer in unseren Augen skurril anmutenden sommerlichen Debatte über die kulturelle Hegemonie den Schachspieler André Danican Philidor erklärend für die französische kulturelle Superiorität herangezogen. Eine Replik von Jürg Altwegg erschien am 3.9.94 in der F.A.Z. unter der Überschrift „Die Bauern sind die Seele des Spiels. Blick in französische Zeitschriften: Eine sommerliche Debatte über die kulturelle Hegemonie". Rechtzeitig zu diesem runden Datum erschien in Italien ein Essay des Musikwissenschaftlers Corrado Rollin, Philidor: il musicista che giocava a scacchi. Messagerie Scacchistiche, Brescia 1994. In diesem Zusammenhang ist auch interessant, daß im Verlag H.-W. Fink, Trierer Str. 73, D-56072 Koblenz, schon lange ein Insider-Tip für hervorragend gemachte Schachbücher, im November d.J. ein Buch mit dem Titel Pour Philidor erscheint, für das als Herausgeber ein Urenkel des großen Schachspielers und Komponisten, Commandant Jean Francois Dupont-Danican von der „Société d’Etudes Philidoriennes" zeichnet. Das Buch wird u.a. auch einen Beitrag aus der Feder des amerikanischen Philidor-Spezialisten Charles Michael Carroll, der 1960 mit einer zweibändigen Darstellung Philidor: His Life and Dramatic Art an der Florida State University promovierte, enthalten. 20. Schach in harten Zeiten - Löchner Friedrich Löchner (s. SZ 3) teilt uns mit, daß er während des Rußland-Feldzuges nach jeder Ortseinquartierung Melder mit dem Auftrag losschickte, den besten russischen Schachspieler herbeizuschaffen. Meist waren es „Opas", da die jüngeren Männer an der Front waren. In Dinskaja (bei Krasnodar) spielte Löchner gegen die Damenmeisterin der Ukraine, wobei er den Kampf 2:1 gewann. Keine der solcherart auf dem Wege von Lemberg über Rostow nach Krasnodar gespielten Partien ist erhalten geblieben. Löchner meint, daß seine Spiele mit den Einheimischen ein kultureller Beitrag zur Völkerverständigung gewesen seien. Gegen Ende des Krieges geriet Löchner in englische Gefangenschaft. „Weil ich verbotenerweise ein Fußballspiel besucht, und dabei die Bannmeile für freien Ausgang überschritten hatte und dabei erwischt worden war, erhielt ich 21 Tage Arrest. Beim Arrestantritt hatte ich selbstverständlich mein Schachspiel dabei. Ein britischer Feldwebel, der beständig einen Schlagring trug und den wir ob seiner hünenhaften Gestalt und den großen ‘Ochsenaugen’ unter einer dicken Brille den ‘Bullen’ nannten, bedeutete mir, Spiele aller Art seien im Arrest nicht erlaubt und nahm mir kurzerhand meine Schachutensilien weg. Aller Protest nützte nichts. In der Barackenunterkunft schnitt ich mir sofort aus Klopapier und einer Zahnpastahülle ein Ersatzschachspiel samt Figuren zurecht, hatte aber das Pech, daß er es schon am zweiten Tag bei einer Barackenrazzia entdeckte, beschlagnahmte und mir androhte, im Wiederholungsfalle mich zur Meldung zu bringen. Natürlich fertigte ich mir erneut eine Art Reiseschach, das ich so gut es ging versteckte. Es half nichts. Er entdeckte es abermals und brachte mich wutentbrannt zum zuständigen Captain. Doch ich hatte Glück. Der Captain war ein passionierter Schachspieler. Er schickte den Feldwebel in die Strafbaracke zurück und bat mich, mit ihm Schach zu spielen. Wir waren einander auf Anhieb sympathisch, und erst spät in der Nacht befahl er telefonisch dem Feldwebel, mich wieder abzuholen und am nächsten Morgen wieder herzubringen. Wir spielten nun täglich bis zum Arrestende zusammen Schach, bei Tee und Gebäck und gelegentlich auch einem kleinen Imbiß." Die folgende Partie, die keine große schachtheoretische Bedeutung hat, sondern im wesentlichen historisches Interesse weckt, spielte Löchner auf dem Gefangenentransport während der Überfahrt von Europa nach Kanada. Die Partie wurde von beiden Parteien blind gespielt. Löchner hatte sie auf der Rückseite des Photos seiner Braut und späteren Ehefrau, das er immer bei sich trug, notiert:
21. Kreuzschach (zu SZ 3) Thomas Binder, Wernigerode, teilt die folgende Partie zum Thema mit (Stellung nach 31. Tc5+):
22. In eigener Sache Wir sind immer dankbar, wenn aufmerksame Leser Fehler entdecken und diese uns mitteilen. Die folgenden Fehler geben wir kurz und bündig: In SZ 13 müssen wir korrigieren, daß Marguerite de Navarre (1492-1549) auch d’Angouleme genannt nicht mit Marguerite de Vallois identisch ist, welche 1553-1615 lebte und deren Name u.a. mit der Bartholomäusnacht im Frankreich des Jahres 1572 verknüpft ist. Demnächst ist übrigens im Kino die Deutsch-Algerierin Isabelle Adjani als „La Reine Margot" (Marguerite de Vallois), Frankreich 1994 (Regie: Patrice Chéreau) zu bewundern. Wir werden noch später auf Marguerite de Navarre zurückkommen. Wir bitten Sie, alle Zuschriften per email zu richten an: Hallo@Ballo.de |