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Geschichte des Deutschen Schachbundes

 

in drei Teilen

 

von

Harald E. Balló, Offenbach/M.

Teil III, B

im August 2002

 

3. Teil, B 1933-1945

4.2. Die Zeit der Zerstörung (1933-1945)

Im Hinblick auf die Vertreibung und Ermordung der jüdischen Schachspieler und den tausendfachen Soldatentod deutscher Schachspieler muß sehr wohl von einer Zerstörung gesprochen werden. Die Verwüstungen nicht nur des deutschen Schachlebens im Deutschen Reich und Österreich-Ungarn waren nicht schicksalhaft über die Schachspieler gekommen. Sie hätten verhindert werden können, wenn die Sozialdemokratie mit den bürgerlichen Parteien in Deutschland zusammengearbeitet hätte und dafür im Bürgertum andererseits auch hinreichend starke Partner vorhanden gewesen wären.

4.2.1. Der Großdeutsche Schachbund

Die einsetzende Deflation führte zu einer Massenarbeitslosigkeit in Deutschland von der im Jahre 1932 mehr als fünf Millionen Menschen betroffen waren. Der DSB konnte aus eigenen Mitteln keinen Kongreß mehr organisieren. Die goldenen zwanziger Jahre hatten gerade einmal fünf oder sechs Jahre gedauert. Die Weimarer Republik scheiterte. Am 30. Januar 1933 wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt. Binnen drei Monate beseitigte er alle verfassungsmäßigen und rechtlichen Hindernisse, die seinem totalitären Machtanspruch im Wege standen. Deutschland starb.

Der DSB hörte am 23. April 1933 auf zu existieren bzw. wurde nach einem kurzen Aufbäumen vom Großdeutschen Schachbund (GSB) am 9.7.1933 anläßlich einer gemeinsamen Hauptversammlung in Bad Pyrmont mehr oder weniger zwangsweise übernommen. Der GSB war am 13. Dezember 1931 mit Sitz in Berlin gegründet worden. In ihm konnten satzungsgemäß nur Deutsche arischer Abstammung Mitglied sein. Die Machtübernahme im DSB geschah damit zwangsweise von außen im Sinne der alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland ergreifenden Gleichschaltungspolitik der neuen nationalsozialistischen Regierung. Der Widerstand gegen die Übernahme war erheblich, denn mehr als 60% der führenden Schachfunktionäre musste im Zuge der Gleichschaltung ausgewechselt werden. Robinow hatte sein Amt bereits Anfang April niedergelegt und der politisch missliebige Regierungspräsident Leopold August Höhnen war ebenfalls bereits vor der Versammlung in Bad Pyrmont 1933 zurückgetreten.

Ehrhardt Post wurde Stellvertreter von Otto Zander (1886-1938), der die Leitung des GSB übernahm. Zander hielt seine bekannte Rede in Bad Pyrmont, in der er die Juden Deutschlands vom organisierten Spielbetrieb ausschloß: „Juden können wir zu unserer Arbeit nicht brauchen, sie haben aus den Vereinen zu verschwinden, denn sie waren in Deutschland die Erfinder und Förderer des Klassenkampfes und hetzen jetzt die anderen Völker mit ihrer Lügenpropaganda gegen unser Vaterland. Ich will gestatten, daß Mitglieder, die unter ihren Großeltern drei Arier und nur einen Juden haben, in den Vereinen bleiben, sofern sie deutsch gesonnen sind. Und nun arbeiten, nichts als arbeiten! Bundesleiter Otto Zander".

Im ganzen Deutschen Reich wurden die jüdischen Schachspieler vom organisierten Schach ausgeschlossen. Auch der Hessenmeister des Jahres 1925 Wilhelm Orbach aus Offenbach/M. wurde aus seinem Verein der Schachgesellschaft 1880 Offenbach/M. ausgeschlossen. Noch am 1.10.1932 hatte sich im Vereinslokal „Meister Orbach an der regen Besprechung beteiligt und führte einige typische Stellungen vor".

Es ist schwer verstehbar, wie die rassistische Ausgrenzung der jüdischen Schachspieler selbst bei einem Spiel stattfinden konnte, das sicherlich keine sehr große Bedeutung für die Nationalsozialisten hatte. Die Menschen hätten sich ohne weiteres und ohne größere Repressalien zu befürchten aus dem organisierten Schach zurückziehen können. Es gab keinen Zwang Schach zu spielen. Dies galt für das private Schachspiel mit Amateurstatus mehr als für jede andere Tätigkeit im öffentlichen oder beruflichen Bereich. Als die Offenbacher im Oktober 1938 ihres bis dahin genutzten Lokales kurzfristig verlustig gingen und sie in der kurzen, verbliebenen Zeit nicht lange wählen konnten, zogen sie in’s Kaiser-Café, wo sie eine gute Aufnahme fanden. Doch weil „immer noch einige Juden im Kaiser-Café verkehren", waren verschiedene Mitglieder mit dem neuen Lokal nicht einverstanden".

Briefkopf des GSB 1939

Ehrhardt Post jedoch schien am Ziel seiner Wünsche. Zunächst war er Stellvertreter des Bundesleiters Zander, dann, als in der Nachfolge von Zander Franz Moraller Bundesleiter geworden war, Geschäftsführer des GSB. Er war der unumschränkte Herrscher im deutschen Schach. Das machen auch die Aussagen von Alexander Aljechin in einem Interview in der spanischen Zeitschrift El Alcázar vom 3. September 1941 deutlich.

1935 unterschrieb er die Schreiben des GSB noch „In Vertretung", 1939 galt seine Unterschrift alleine.

Post hat die Verwüstungen im europäischen Schach mit zu verantworten, daran besteht kein Zweifel, doch war er nach des Autors Überzeugung kein überzeugter Nationalsozialist der ersten Stunde. In diesem Zusammenhang kann Erwähnung finden, daß Kurt Rattmann Senior dem Autor Ende der siebziger Jahre persönlich sagte, daß Post "kein Nazi gewesen sei", sondern den GSB vor der Organisation KdF geschützt und abgeschirmt habe. Und auch Lehmann, Berlin, bezeichnete Post als "machtbewußten Konservativen". Lehmann und Rattmann kannten Post noch persönlich. Auch Lachaga schrieb, daß Post nicht der Partei angehört hatte. Lachaga hatte seine Informationen von Albert Becker und der musste es wissen. Und die Tatsache, daß Post formal und protokollarisch immer nur der zweite Mann innerhalb des GSB war und hohe nationalsozialistische Funktionsträger zum Bundesleiter des GSB ernannt worden sind, spricht ebenfalls dafür, daß er nicht der Partei angehörte, denn nur verdiente und zuverlässige Parteimitglieder konnten in die höchsten Führungspositionen innerhalb des nationalsozialistischen Staates berufen werden.

Aufschlussreich und interessant sind auch die Aussagen, die von Paul Michel überliefert sind. "Zahlreiche Schachturniere jener Jahre verdankt man der rastlosen Energie eines Mannes, Post. Als vor nunmehr sechzehn Jahren der Schreiber dieser Zeilen anläßlich einer Artikelreihe in den Deutschen Schachblättern - 'Die Skandinavische Partie' - aufgefordert wurde, die jüdischen Namen zu unterdrücken und er erwiderte, daß dann auch die der Nichtjuden fortzubleiben hätten, da erklärte Post auf der Stelle sein Einverständnis. Als man im November 1938 (Reichskristallnacht, Anm. HB) von der spontanen Volkswut sprach, da sagte Post spöttisch verächtlich: "Die Volkswut, die früh drei Uhr wachgeworden ist." Wir könnten diese Beispiele vermehren, doch: sapientia sat. Es wird nicht gelingen diesen Mann für immer totzumachen, in dankbaren Herzen lebt er weiter. Denen aber, die sich in blindwütigem Haß zur knirschenden Verwünschung des Grafen von Savern versteigen: Den werft mir in die Hölle, daß er zu Asche gleich vergehe und ihn mein Aug' nicht weiter sehe! - denen rufen wir zu: Richtet euren Haß an die Adresse derer, die ihn verdienen, denen wir es verdanken, daß unsere Lieben freudlos dahingebleicht, unser vertrautes Land, unsere Städte zerfetzt sind! - In sonst erbarmungslosen Tagen, Wochen, Jahren gab es für uns Schachmeister Stunden des Trostes, von Freude, Unbekümmertheit, die wir großenteils Post verdankten und mit uns die vielen Namenlosen, denen das Nachspielen Hochgenuß verschafft, ein Sonnenstrahl ist in des Daseins ödem Grau. In diesem Sinne wage sich dieses Buch ans Licht!" Bemerkenswert ist dabei auch, daß das Buch von Michel "Frau Salome Reischer, Meisterin von Österreich, der gütigen Helferin in bitteren Jahren in Dankbarkeit zugeeignet" ist. Reischer war Jüdin und emigrierte nach Palästina und später in die USA. Sie kehrte nach Restitution ihres vorher arisierten Familienbesitzes nach Wien zurück und starb dort 1980.

Es erhebt sich an dieser Stelle die Frage, inwieweit die Unterscheidung, ob Ehrhardt Post nun denn ein überzeugter Nationalsozialist der ersten Stunde oder nur ein konservativer Deutschnationaler war, von wirklicher Relevanz ist, angesichts der von ihm billigend in Kauf genommenen Vertreibung jüdischer Schachspieler aus der deutschen Schachszene, angesichts seiner Treffen mit Hans Frank dem Leiter des Generalgouvernements Polen und angesichts der Organisation von Schachturnieren in unmittelbarer Nähe der Konzentrationslager in Polen, in denen Menschen vernichtet und vielleicht gerade der bibliophile deutsche Jude Harald Falk aus Hamburg oder der polnische Jude David Przepiorka aus Lodz vergast wurden.

Der Autor ist der Überzeugung, daß es alleine schon deshalb kein nur formal wichtiger Aspekt ist, als mit der Klärung dieser Frage deutlich wird, welche Schuld auch gerade die deutschnationalen Ideen folgenden Deutschen auf sich geladen haben - in der großen politischen Welt, wie auch im kleinen Gebiet des Schachs. Vom gutmütigen Nationalismus romantischer Prägung zum rassistisch ausgrenzenden Nationalismus völkischer Prägung war es eben nur ein kleiner Rösselsprung, wenn die Sicherungen intellektueller Vernunft erst einmal gebrochen waren. Nicht nur die Juden in Deutschland und Europa, sondern auch die Jugend Deutschlands und Europas hat diesen Verlust an Vernunft mit dem Leben bezahlt; die Medizinstudenten Hans und Sophie Scholl aus Überzeugung für ihren Kampf gegen den Nationalsozialismus in München 1943 ebenso, wie die jungen und betrogenen deutschen Soldaten, die, wie der James Dean der deutschen Schach-Aficionados, Klaus Junge („denn sie wissen nicht, was sie tun"), noch in den letzten Wochen und Tagen vor dem Ende des Krieges im Mai 1945 ihr Leben geben mussten.

Stoltz vs Junge, Großmeisterturnier 1942

Ehrhardt Post starb am 1. August 1947. Die Nachricht über den Tod dieses einst so mächtigen Schachfunktionärs fand in der Schachpresse nur eine geringe Beachtung. Es ist nicht bekannt, wer Post wo und wie begraben hat.

Der Deutsche Schachbund aber muß sich in seinem 125. Jubiläumsjahr seiner Geschichte nicht schämen. Stolzen Hauptes kann er sich seiner Leistungen erinnern eingedenk der Worte: „Hüte dich nur und bewahre deine Seele wohl, dass du nicht vergessest der Geschichten, die deine Augen gesehen haben, und dass sie nicht aus deinem Herzen kommen all dein Leben lang."

Siehe auch das hierzu erscheinende Buch über die Geschichte des DSB, das Ende 2002, Anfang 2003 in einer revidierten und mit umfangreichem Bildmaterial versehenen Fassung erscheinen wird.

Wir bitten Sie, alle Zuschriften per email zu richten an: Hallo@Ballo.de

ENDE